Helmut Waltersdorfer | Ganz Mensch werden.
220 Seiten | 19,5 x 22 cm | Hardcover mit Schutzumschlag | zahlreiche Illustrationen
ISBN 978-3-9504795-9-1 | 29,90 €
Ein besonderer Tipp – jenseits des Mainstreams. So könnte man das Buch „Ganz Mensch werden. Vom Gottesdienst zum Menschendienst“ von Helmut Waltersdorfer skizzieren.
Es ist kein Lehrwerk, es ist keine Biographie, auch wenn es zahlreiche biographische Elemente enthält, es ist ein Buch, das konkrete liturgische Beispiele und Perspektiven aufzeigt und grundsätzliche „Anstöße“ geben will.
Der Autor selbst schreibt im Vorwort, dass er „(…) mit diesem Buch Vorschläge auf den Tisch (legt), wie sich Gottesdienste, die als ‚Mittelpunkt des Glaubens und der Gemeinde‘ bezeichnet werden, verändern müssen. Sie sollen den Menschen dienen und dürfen nicht in starren Ritualen, in für alternative Formen ungeeigneten Räumen und in einer unverständlichen, veralteten Sprache stecken bleiben. Dass all das nicht mehr zeitgemäß ist, äußert sich nicht zuletzt in einem starken Rückgang der Gottesdienstbesuche, der durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wurde.“
Mit dem Erscheinungsjahr 2022 ist es ein aktuelles Buch, das sich hinter (Standard-) Werken mit diversen Gottesdienstmodellen anderer Verlage nicht zu verstecken braucht. Konkrete Beispiele werden in einen Bogen eingefügt, der auch Grundthemen der Theologie beleuchtet: „Über Gott kann man nicht reden, sondern nur schweigen. Deshalb habe ich den Untertitel für dieses Buch mit ‚Was dem Leben dient: Vom Gottesdienst zum Menschendienst‘ gewählt. Es geht um die Menschen, um ihr Leben mit all dem Auf und Ab, mit Sorgen und Freuden, mit Problemen und Ereignissen der Zeit, in der sie leben, mit ihren speziellen Lebensstationen. Mit liturgischen Angeboten dazu soll es gelingen, einen Ausgleich zum Alltagsleben zu schaffen, damit jeder ‚Ganz Mensch werden‘ kann, wie es der Titel des Buches ausdrückt.“ (Helmut Waltersdorfer)
Freilich bleibt durchgängig eine theologische Linie des Autors spürbar und natürlich sind auch Anfragen nötig, z.B. inwieweit Liturgie nicht einfach „nur“ Gottesdienst sein darf und jeder Art von „Verzweckung“ und Anthropozentrierung entzogen sein muss. Und doch ist das herausragend positiv zu würdigende an „Ganz Mensch werden“ die Rückbindung an die Lebenswelt und Lebenspraxis: In diesem Sinn werden bekannte und neue Elemente für eine „neue Liturgie“ beschrieben. Durchgängig wird deutlich, dass die Liturgie eine Unterbrechung und keine Ausklammerung des Alltags zum Ziel haben muss.
Der Autor geht den mutigen Schritt, den Liturgischen Kalender neu zu gestalten und am Kalenderjahr (beispielhaft für das Jahr 2023) zu orientieren, so finden sich z. B. Hinweise zum „Welttag des Theaters“ (27.März) oder zum „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“ (3. Dezember) ebenso wie zu den üblichen liturgischen (Hoch-)Festen. Die Bindung an das Kirchenjahr tritt damit in den Hintergrund, auch die Orientierung am Leben Jesu und an Heiligenfiguren. Vielmehr wird unterschieden zwischen allgemeinen Liturgien im Jahreslauf, spezielle Liturgien und Liturgien zu Lebensstationen. Dies alles hat sein Für und Wider. Das vorliegende Werk stellt sich in diesem Sinn quer zu anderen Gottesdienst-Büchern.
Es denkt vom Menschen her und auf den Menschen hin.
Wer ein „liturgisches Lese- und Praxisbuch“ sucht und keine Scheu vor einer gewissen „theologischen Politisierung“ hat, wird hier fündig werden. Abschließend nochmal der Autor selbst: „Die Kernaufgaben der christlichen Kirchen sind in Zukunft die Pflege einer offenen Tischgemeinschaft und die Zuwendung zu den Menschen. Wenn die Kirchen auch weiterhin bestehen wollen, müssen sie sich auf diese Kerneigenleistungen konzentrieren. Die derzeitigen Erneuerungsprozesse beschäftigen und verzetteln sich mit organisatorischen und weniger mit inhaltlichen Änderungen. Sie sind außerdem zu langsam.“
Der Autor hat sich schon in zwei anderen Vorwerken einem/seinem theologischen Programm verschrieben, das diskussionswürdig ist. Erfrischend anders das Jahr 2023 liturgisch beleuchten: Dafür eignet sich dieses Buch sehr gut – ebenso wie zur beständigen Überprüfung, was einem selbst am Gottesdienstfeiern wichtig ist und bleibt. Robert Paulus